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03.02.2020

NIT Institut für Tourismus- und Bäderforschung in Nordeuropa GmbH

Nachhaltige Urlaubsreisen: Bewusstseins- und Nachfrageentwicklung

Studie | Klimaschutz und Nachhaltigkeit

Veröffentlichung: September 2019

Seitenanzahl: 81

Die nachhaltigere Gestaltung von Urlaubsreisen ist seit langer Zeit Gegenstand der angewandten Tourismusforschung und der politischen Diskussion. Gleichzeitig wurden in der Praxis umfangreiche Anstrengungen unternommen, Tourismusanbieter zu einem nachhaltigeren Angebotsverhalten zu bewegen und diese Bemühungen zu zertifizieren.

Diese Studie ergänzt die akademische und anbieterorientierte Perspektive um Nachfragedaten. Sie untersucht die Einstellung der deutschen Bevölkerung zum nachhaltigen Reisen sowie die Bedeutung von nachhaltigen Aspekten für die tatsächliche Konsumentscheidung. Dazu werden nachhaltigkeitsorientierte Verhaltensmerkmale und Einstellungen in Bezug auf Urlaubsreisen auf Basis bevölkerungsrepräsentativer Befragungen in Deutschland dokumentiert. (Quelle: NIT 2019)

Ziel der Studie

Die Studie untersucht das Nachhaltigkeitsbewusstsein der deutschen Bevölkerung und stellt dieses in Bezug zur faktischen Bedeutung von Nachhaltigkeitsaspekten bei der Reiseentscheidung und der Wahl des Anreiseverkehrsmittels.

Für wen ist es relevant?

Die Ergebnisse sind für alle touristischen Akteure relevant. Die Studie richtet sich hinsichtlich ihrer Konsequenz vor allem an politische Entscheidungsträger und die Tourismuswissenschaft.

Wie wurde vorgegangen?

Um die einstellungsorientierte Akzeptanz und die verhaltenswirksame Relevanz nachhaltiger Aspekte bei Urlaubsreisen zu untersuchen und voneinander abzugrenzen, wurden sechs nachhaltigkeitsrelevante Indikatoren im Rahmen einer Face-to-Face-Befragung (für Urlaubsreisen ab 5 Tagen Dauer, n=7.773) sowie einer Onlinebefragung (für Kurzurlaubsreisen bis zu 4 Tagen Dauer, n=5.057) herangezogen.

Was sind die zentralen Ergebnisse?

Mehr als die Hälfte der deutschen Bevölkerung findet ökologische und soziale Nachhaltigkeit bei Urlaubsreisen wichtig. Dieser Anteil ist seit 2013 noch einmal um 5 Prozentpunkte gestiegen.

Dem Anstieg der positiven Einstellung steht eine wenig nachhaltigkeitsrelevante Reiseentscheidung gegenüber. Ausschlaggebend für eine Buchung ist Nachhaltigkeit nur in den seltensten Fällen. Allerdings gibt es Reiseziele, bei denen ein stark überdurchschnittlicher Anteil von Reisenden eine höhere Nachhaltigkeitsrelevanz geäußert hat, wie z. B. bei Reisezielen in Skandinavien oder in Mecklenburg-Vorpommern. Die Relevanz nachhaltiger Aspekte für die Reiseentscheidung sinkt mit zunehmender Entfernung des Reiseziels.

Gleichzeitig manifestiert sich die fehlende Relevanz auch im Reiseverhalten. Zwar stagnieren die summierten Reisetage der Deutschen weitgehend, die zurückgelegten Distanzen steigen jedoch deutlich an . So führt z. B. die Wahl des Reiseziels zu einem starken Wachstum der zurückgelegten Distanz per Flugzeug, hauptsächlich im Zusammenhang mit Fernreisen. Vor allem Besserverdienende legen dabei mehr km als zuvor mit dem Flugzeug zurück. Dennoch wird immer noch der überwiegende Teil der Urlaubs- und Kurzurlaubsreisen mit dem Auto unternommen.

Während die Reisedistanz insgesamt zunimmt, stagniert die Reisedauer. Ein potenziell in der Destination wertschöpfenden Reisetag ist dementsprechend mit einer zunehmenden Anzahl Anreisekilometer verbunden.

Welche Konsequenzen lassen sich daraus ableiten?

Nach wie vor spielt Nachhaltigkeit nur eine untergeordnete Rolle bei der Reiseentscheidung. Es besteht also eine große Lücke zwischen der Einstellung bzw. und Verhalten der Urlaubsreisenden. Ursächlich für die entstandene Lücke ist der Charakter von Urlaubsreisen als hedonistisch geprägtes High-Involvement-Produkt, bei dem Vernunftargumente eine untergeordnete Rolle spielen. Außerdem werden bei der Entscheidung für eine nachhaltige Reise höhere Preise, aber auch Opportunitätskosten z. B. durch Abstriche bei den Urlaubswünschen, befürchtet.

Die Studie zieht aus den beschriebenen Umständen deshalb die Konsequenz, dass entweder der Nutzen von nachhaltigeren Reisealternativen erhöht oder deren Preise relativ verringert werden müssen. Diese relative Veränderung kann auch durch die Verteuerung der weniger nachhaltigen (umwelt- und sozialschädlichen) Urlaubsreisen durch Lenkungsabgaben geschehen. Eine solche Wirkung kann beispielsweise durch eine ausreichend hohe CO2-Bepreisung im Verkehrssektor erwartet werden.

Kritische Würdigung

Die Studie liefert überwiegend erwartungsgemäße Ergebnisse (eine positive Einstellung der Befragten zur Nachhaltigkeit, aber nur eine sehr geringe Verhaltenswirksamkeit). Da derzeit trotz zahlreicher Einzelwerte und Branchenberichte kein einheitlicher Maßstab für die Nachfrage nach nachhaltigem Urlaub im deutschen Markt existiert, sind die Ergebnisse von hoher Bedeutung, da sie die beschriebenen Zusammenhänge plakativ und mit harten Zahlen untermauern.

Um die Entwicklung der Relevanz von Nachhaltigkeit in der deutschen Urlaubsnachfrage über die Zeit zu beobachten, sind allerdings Folgemessungen notwendig, um Zeitreihen bilden zu können. Nur auf diese Weise können effektive und effiziente Maßnahmen marktgerecht entwickelt und überprüft werden. Für einige Parameter (Reisedistanzen, Reisetage, Einstellungen) werden Zeitreihen zumindest über einige Jahre dargestellt. Andere Parameter (CO2-Kompensation, Nutzung von ausgezeichneten Angeboten, Nachhaltigkeitsrelevanz) liegen nur als Erstmessung vor.

Die verwendeten durchschnittlichen Emissionswerte je Verkehrsmittel sind für den Urlaubsreiseverkehr nicht ohne Weiteres übertragbar. Allerdings besteht hierfür bis dato keine Alternative und es muss auf die vom Umweltbundesamt zur Verfügung gestellten Durchschnittswerte zurückgegriffen werden.

Die vom BMU beauftragte Studie kann hier kostenlos heruntergeladen werden.

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