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Phänomen „Revenge Travel“: Nachholbedarf für Reisen in Deutschland größer als erwartet?

Entgegen der Annahme, dass Nachholeffekte im Tourismus grundsätzlich nicht möglich sind, wird im Zuge der noch andauernden Pandemie das mögliche Phänomen des „Revenge Travel“ diskutiert, zu Deutsch: Rachereisen. Es beschreibt den Wunsch, entgangene Reiserlebnisse nachholen zu wollen, sobald dies wieder möglich ist. Der Begriff wurde erstmals in den sozialen Medien, vor allen in den USA verwendet, als im Sommer 2020 die dortigen Reiseeinschränkungen immer weiter verschärft wurden.

Im aktuellen Kontext trat „Revenge Travel“ zuletzt im Zuge der Verkündung der Impfstrategie Großbritanniens durch den Premierminister Boris Johnson am 22.02.2021 auf (rnd). Darin hieß es, dass die britische Regierung bis zum 21. Juni 2021 alle coronabedingten Beschränkungen aufheben und bis Ende Juli 2021 jeder Erwachsene die erste Impfdosis erhalten werde (tagesschau, tagesschau). Über Nacht kam es am 23.02.2021 zu einem sprunghaften Anstieg der Buchungszahlen in Großbritannien. So meldete die Fluggesellschaft Easyjet 600 Prozent mehr Buchungen und der Reiseveranstalter TUI verbuchte Steigerungen von 500 Prozent (tagesschau), wenngleich hier das pandemiebedingt niedrige Buchungsniveau unmittelbar vor diesem Termin berücksichtigt werden muss.


Das Phänomen „Revenge Travel“ kann aus psychologischer Sicht als sogenannter Reaktanzeffekt identifiziert werden. Unter Reaktanz versteht man den starken Wunsch zur Wiederherstellung von zuvor eingeengten oder eliminierten Freiheitsspielräumen. Ein Reaktanzeffekt beschreibt das daraus resultierende Verhalten zur Wiederherstellung des Freiheitsspielraums (Die Theorie psychologischer Reaktanz, Veröffentlichung im Springer Verlag 2010, Raab, Unger und Unger).
Der Freiheitsspielraum für (Freizeit-)Reisen wurde durch die Corona-Maßnahmen weltweit stark eingeschränkt und zeitweise vollständig aufgehoben. Eine verstärkte Reiselust wäre in diesem Kontext ein Anzeichen für Reaktanz und das hieraus folgende Verhalten manifestiert sich in stark erhöhten Buchungszahlen.

Nun stellt sich die Frage, ob es die Anzeichen für diese impulsive Reaktion beim Buchungsverhalten im Sinne des „Revenge Travel“ auch in Deutschland gibt.

Erste Anzeichen für Reaktanz können aus aktuellen Untersuchungen abgeleitet werden, denn die Reiselust der Deutschen ist nach wie vor ungebrochen. Zu dieser Erkenntnis kommen u. a. die ADAC - Tourismusstudie, die FUR-Reiseanalyse, Studien von hometogo und Statista. Laut Reisepuls Deutschland 2021 (erhoben Dezember 2020) verspüren 37 Prozent der Befragten eine sehr große Reiselust. Das entspricht einem Plus von acht Prozentpunkten gegenüber Mai 2020. Fünfzehn Prozent der Befragten gaben an, schon nach den ersten Lockerungen, in einer Phase mit noch (deutlichen) Einschränkungen wieder reisen zu wollen. Bei der Frage nach dem Zeitraum der nächsten geplanten Reise sticht der Sommer 2021 mit 40 Prozent deutlich hervor (Reisepuls 2021, destinet).

Einzelne Entwicklungen in Deutschland erinnern tatsächlich bereits an das aus England berichtete Phänomen: Als Anfang Januar 2021 der Wintersportort Winterberg sowie Teile des Harzes von Besuchern überlaufen wurden, mussten die Behörden schnell reagieren. Viele Menschen suchten den Ausgleich zum andauernden Lockdown auf den verschneiten Skipisten. Dies hatte Sperrungen der Gebiete, insbesondere von Straßen, Parkplätzen und Pisten, zur Folge (rnd).

Auch international gab es, u. a. nach der Mitteilung des Auswärtigen Amtes am 12.03.2021, die Reisewarnungen für die Balearen Insel Mallorca aufzuheben, sprunghafte Anstiege der Buchungen. Der Reiseveranstalter TUI verzeichnete eine Verdopplung der Buchungen verglichen mit demselben Zeitraum im Jahr 2019, also noch vor der Corona-Pandemie. Auch die Airline Eurowings berichtete von einem massiven Anstieg von Buchungen und legte als Konsequenz zusätzliche 300 Flüge zu Ostern auf (tageskarte.io, tagesschau).

Erste Beispiele für das Phänomen „Revenge Travel“ konnten also auch in Deutschland beobachtet werden. Es bleibt abzuwarten, ob es sich nur um eine kurzfristige Entwicklung gehandelt hat oder ob sich dieses Phänomen in den nächsten Wochen und Monaten ausgeprägt und verbreitet zeigen wird.


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